Die Geschichte der Kernenergie ist von bedeutenden Meilensteinen und tragischen Unfällen geprägt, die die öffentliche Wahrnehmung und politische Entscheidungen maßgeblich beeinflusst haben. Von den Anfängen der Atomkraft bis zu den Nuklearkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima hat die Kernenergie eine komplexe und kontroverse Entwicklung durchlaufen.

Die Geschichte der Kernenergie in Deutschland nimmt ihren Anfang in den 1950er Jahren, als der erste Forschungsreaktor 1957 erbaut wurde und das erste Kernkraftwerk 1961 in Betrieb ging. Ursprünglich galt Kernenergie als sicher und umweltfreundlich, was in den 1960er Jahren zu einer breiten öffentlichen Akzeptanz führte; die Atomkraftwerke Fukushima und Tschernobyl waren jedoch Wendepunkte, die das Bild der Kernenergie tiefgreifend veränderten.

Die Anti-Atomkraft-Bewegung, die in den 1970er Jahren in den USA ihren Anfang nahm, erfasste schnell auch Deutschland und führte zu einer kritischeren Sichtweise auf diese Energieform. Kernenergie, die Energie, die aus dem Kern eines Atoms bei der Kernspaltung oder -fusion freigesetzt wird, bietet zwar eine weitaus höhere Energieausbeute im Vergleich zu konventionellen Methoden, steht aber heute an einem kritischen Punkt ihrer Entwicklung.

Entdeckung und Anfänge der Kernspaltung

Die Entdeckung der Kernspaltung markierte einen Wendepunkt in der Wissenschaft und Technologie. Im Dezember 1938 führten Otto Hahn und sein Assistent Fritz Straßmann Experimente durch, bei denen sie Uran mit Neutronen bombardierten. Überraschenderweise entstand dabei Barium, ein Ergebnis, das mit den damaligen wissenschaftlichen Theorien nicht erklärbar war. Lise Meitner und ihr Neffe Otto Frisch lieferten im Januar 1939 die theoretische Erklärung für dieses Phänomen. Sie beschrieben den Prozess der Kernspaltung als die Teilung eines schweren Kerns in zwei annähernd gleiche Teile, wobei eine große Menge Energie freigesetzt wird. Diese Entdeckung, die in den Räumlichkeiten des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie in Berlin stattfand, hatte weitreichende Implikationen für die Entwicklung von Kernenergie und Nuklearwaffen.

Kernreaktorentwicklung

  1. Erster Forschungsreaktor: In Deutschland wurde der erste Forschungsreaktor, das „Atom-Ei“ in Garching, 1957 in Betrieb genommen.
  2. Erstes Kernkraftwerk: Das erste deutsche Kernkraftwerk ging 1961 in Betrieb, was den Beginn der kommerziellen Nutzung der Kernenergie in Deutschland markierte.
  3. Verschiedene Reaktortypen: Zu den verschiedenen Typen von Kernreaktoren gehören der Druckwasserreaktor (DWR), der Siedewasserreaktor (SWR), der Schwerwasserreaktor (HWR), der gasgekühlte Reaktor (GCR) und der schnelle Brüter (FBR). Diese Reaktoren nutzen unterschiedliche Moderatoren wie Wasser und Graphit sowie Kühlmittel wie Wasser, Schwerwasser, CO2, Helium und flüssiges Natrium.

Die frühen Jahre der Kernspaltung und die darauf folgende Entwicklung von Kernreaktoren legten den Grundstein für die Nutzung der Kernenergie, die sich weltweit auf verschiedene Weise entwickeln sollte.

Kernenergie im Aufschwung: Die 1960er bis 1980er Jahre

Entwicklungen und Treiber der Kernenergie

  1. Einleitung der kommerziellen Nutzung: Das erste deutsche kommerzielle Atomkraftwerk, Kahl, nahm 1961 mit einer Kapazität von 16 MW den Betrieb auf.
  2. Erweiterung in der DDR: 1966 begann das Kernkraftwerk Rheinsberg in der ehemaligen DDR mit dem Betrieb, was die Ausbreitung der Kernenergie in ganz Deutschland markierte.
  3. Antriebskräfte für die Kernenergienutzung:
    • Die Suche nach neuen Energiequellen aufgrund der wahrgenommenen Knappheit und hohen Kosten von Öl und Kohle.
    • Die Erwartung, dass die Energienachfrage parallel zum wirtschaftlichen Wachstum steigen würde.
    • Der Einfluss von US-Präsident Eisenhowers „Atoms for Peace“-Rede, die 1953 die friedliche Nutzung der Kernenergie propagierte.
  4. Wahrnehmung und Akzeptanz:
    • In den 1960er Jahren galt die Atomenergie generell als sauber, preiswert und als Wachstumsmotor.
    • Es gab wenig Widerstand gegen Kernenergie, da die Angst vor radioaktiver Strahlung zu dieser Zeit relativ gering war.
  5. Technologische Innovationen und gesellschaftliche Haltung:
    • Technische Neuerungen wurden allgemein positiv aufgenommen, ähnlich der Begeisterung für neue Technologien wie Fernsehen, Telefone und Raumfahrt.
    • Die staatlichen Institutionen trieben das deutsche Kernkraftprogramm voran, während Energieunternehmen eher eine konservative Rolle einnahmen.

Von der Katastrophe geprägt: Tschernobyl und Fukushima

Tschernobyl: Eine Tragödie mit Folgen

Am 26. April 1986 ereignete sich die Atomkatastrophe von Tschernobyl, die als einer der schwersten Unfälle in der Geschichte der Atomindustrie gilt. Der Unfall im vierten Block des Kernkraftwerks führte zu einer massiven Freisetzung radioaktiver Stoffe und hatte verheerende Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit von Menschen. Tschernobyl war ein Wendepunkt, der die öffentliche Meinung stark beeinflusste und den Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland beschleunigte.

Fukushima: Die Nuklearkatastrophe von 2011

Am 11. März 2011 ereignete sich die Nuklearkatastrophe von Fukushima, die durch ein starkes Erdbeben und einen folgenden Tsunami ausgelöst wurde. Die Unfälle in den Reaktorblöcken führten zur Freisetzung erheblicher Mengen radioaktiver Stoffe und zur Kernschmelze. Fukushima war ein weiteres tragisches Ereignis, das die Sicherheitsfragen der Atomenergie weltweit verstärkte und zu einem verstärkten Ausstieg aus der Atomkraft führte.

Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung und Politik

Die Nuklearkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung der Kernenergie. Sie führten zu einem gesamtgesellschaftlichen Konsens für den Atomausstieg und ebneten den Weg für verstärkte Sicherheitsmaßnahmen und die Neubewertung nuklearer Risiken. Diese Ereignisse haben die Debatte um die Atomenergie intensiviert und zu einem verstärkten Fokus auf erneuerbare Energien geführt.

Der Atomausstieg: Eine globale Bewegung

Widerstand und Proteste

  1. Anfänge des Widerstands: Der Widerstand gegen Kernkraftwerke in Deutschland begann mit den Plänen zum Bau eines Kraftwerks in Wyhl Ende der 1960er Jahre. Die lokalen Winzer befürchteten, dass der Wasserdampf aus den Kühltürmen das Sonnenlicht für ihre Weinberge blockieren und zu Ertragseinbußen führen würde.
  2. Bürgerbewegung gegen Kernenergie: Die Opposition gegen das Kernkraftwerk in Wyhl führte zur Gründung der Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland. Diese Bewegung gewann an Dynamik, als 1976 etwa 30.000 Menschen gegen das Kernkraftwerk Brokdorf protestierten, was zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei führte.
  3. Verschiebung des Fokus: Ende der 1970er Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt der Anti-Atomkraft-Bewegung von der Gefahr durch Kernkraftwerke auf die Problematik der nuklearen Abfallentsorgung. Der geplante Atommüll-Endlagerstandort in Gorleben löste 1979 den ‚Gorleben Treck‘ aus, an dem sich 350 Traktoren und 100.000 Menschen beteiligten.

Entscheidungen und Folgen

  • Fukushima und die Energiewende: Die Katastrophe in Fukushima im Jahr 2011 war ausschlaggebend für die Entscheidung Deutschlands, bis 2022 aus der Kernenergie auszusteigen. Die letzten Kernkraftwerke in Deutschland wurden am 15. April 2023 stillgelegt.
  • Erfolge der Bewegung: Die Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland hat erfolgreich zur Stilllegung von Kernkraftwerken beigetragen, Skandale im Zusammenhang mit nuklearem Abfall aufgedeckt und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen gefördert.
  • Gesellschaftliche Integration und demokratische Entwicklung: Die Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland zeichnete sich durch ihre Offenheit für alle gesellschaftlichen Schichten und die Integration verschiedenster Perspektiven aus. Dies trug zur Entwicklung demokratischer Prozesse in Deutschland bei.

Heutige Herausforderungen und Zukunft der Kernenergie

Wirtschaftliche und technologische Herausforderungen

  1. Rückgang der Kernenergie: Der Anteil der Kernenergie an der globalen Stromproduktion ist rückläufig und wird voraussichtlich weiter sinken.
  2. Wirtschaftliche Herausforderungen: Neue Kernkraftprojekte sind technisch unsicher und wirtschaftlich fragwürdig, da die aktuelle Generation von Leichtwasserreaktoren erhebliche Verzögerungen und Kostenüberschreitungen aufweist.
  3. Vergleich der Kosten: Die Kosten für Kernenergie sind deutlich höher als die für erneuerbare Energiequellen. Im Jahr 2021 betrugen die Kosten für Windenergie 3,8 US-Cent pro kWh und für Photovoltaik 3,6 US-Cent pro kWh, während die Kosten für Kernenergie bei 16,7 US-Cent pro kWh lagen.

Technologische Innovationen und Sicherheitsbedenken

  • Kleine modulare Reaktoren (SMRs): SMRs sind noch nicht ausgereift und werden in naher Zukunft voraussichtlich nicht verfügbar sein. Andere Reaktortypen wie schnelle Brüter sind ebenfalls in absehbarer Zeit nicht verfügbar oder wettbewerbsfähig.
  • Herausforderungen bei SMRs: SMRs bergen Risiken, da flüssiges Natrium, das in einigen Kühlkonzepten verwendet wird, hochreaktiv ist und bei Kontakt mit Sauerstoff Feuer fangen kann. Bleilegierungen in bleigekühlten Reaktoren können erstarren, wenn sie zu kalt werden, was den Reaktor unbrauchbar macht.

Politische und rechtliche Perspektiven

  • Nuklearenergie und Klimawandel: Kernkraft wird als Möglichkeit gesehen, CO2-Emissionen zu vermeiden und Energieunabhängigkeit zu gewährleisten, besonders in Krisenzeiten. Allerdings argumentiert der BUND, dass Kernkraft keine Lösung für den Klimawandel darstellt, da sie nicht die Kriterien für Umweltfreundlichkeit oder eine langfristige Antwort auf die Klimakrise erfüllt.
  • Rechtliche Perspektive auf Kernenergieinvestitionen: Ein Rechtsgutachten im Auftrag des österreichischen Ministeriums bestätigt, dass Kernenergie die Kriterien für „grüne“ Investitionen gemäß der EU-Taxonomie-Verordnung (Juni 2020) nicht erfüllt.

Zukünftige Forschungs- und Entwicklungsrichtungen

  • Generation IV Reaktoren: Es gibt einen Trend hin zu neuen Kühlmitteln und kleineren Reaktoren, die für dezentrale Energieversorgung und Netzstabilisierung eingesetzt werden können. Neuere Reaktoren sollten in der Lage sein, sich auch im Falle eines vollständigen Systemausfalls passiv zu kühlen.
  • GIF-Reaktorsysteme: Die von der GIF ausgewählten sechs innovativen Reaktorsysteme umfassen SGTR, HTR, ULWR, SNGR und FHR. Diese Systeme bieten hohe Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Abfallreduzierung und Proliferationsresistenz.

Fazit

Im Laufe der Zeit hat sich die Wahrnehmung und die Rolle der Kernenergie in Gesellschaft und Politik stark verändert. Von den Anfängen der Nutzung in der Mitte des 20. Jahrhunderts, über die technologischen Fortschritte und die damit verbundenen Hoffnungen, bis hin zu den einschneidenden Wendepunkten durch die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima, die zu einer kritischeren Betrachtungsweise und letztendlich zu einem Umdenken in der Energiepolitik vieler Länder führten. Die Geschichte der Kernenergie ist somit nicht nur ein Spiegelbild des technischen Fortschritts, sondern auch der politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Bewusstseinswandlungen.

Zukünftige Forschungen und Entwicklungen im Bereich der Kernenergie stehen somit vor der Herausforderung, nicht nur technologische Innovationen und sicherere Reaktorkonzepte zu entwickeln, sondern auch ethische, umweltpolitische und gesellschaftliche Aspekte stärker zu berücksichtigen. Die Kernenergie, einst als Wegbereiter für eine energieintensive Zukunft gefeiert, steht heute an einem Scheideweg, an dem ihre zukünftige Rolle im globalen Energiemix kritisch hinterfragt wird. Angesichts der drängenden Klimafragen und der Suche nach nachhaltigen Energielösungen bleibt abzuwarten, welchen Platz die Kernenergie in den Energiestrategien der Zukunft einnehmen wird.

FAQs

1. Wie kam es zur Entdeckung der Kernenergie?
Die Entdeckung der Kernenergie geht auf den Dezember 1938 zurück, als Otto Hahn und sein Mitarbeiter Fritz Straßmann am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie Uran mit Neutronen bestrahlten. Dabei entdeckten sie, dass als Nebenprodukt der Reaktion auch Barium entstand, was auf eine Kernspaltung hinwies.

2. Wie entwickelte sich die Atomkraft?
Die Entwicklung der Atomkraft basiert auf der Entdeckung der Kernspaltung durch die deutschen Chemiker Otto Hahn und Friedrich Wilhelm Strassmann im Jahr 1938. Bei ihren Experimenten stellten sie fest, dass bei der Spaltung von Atomkernen enorme Energiemengen freigesetzt werden, obwohl sie den Prozess zunächst nicht vollständig theoretisch erklären konnten.

3. Wann nahm die Anti-Atomkraft-Bewegung ihren Anfang?
Die Anti-Atomkraft-Bewegung in Westdeutschland begann im Jahr 1980 mit der Gründung der Partei Die Grünen, die aus der Friedens-, Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung hervorging. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 führte zu einer weiteren Intensivierung des Protests gegen die Atomkraft.

4. Wann wurde das erste Kernkraftwerk in Betrieb genommen?
Das erste Kernkraftwerk der Welt, das elektrischen Strom in ein öffentliches Netz einspeiste, war das Kraftwerk in Obninsk, Russland. Es begann am 26. Juni 1954 mit der Stromerzeugung.